Studie stellt Spielerschutzmaßnahmen in Frage
Eine aktuell im Wissenschaftsmagazin „Journal of Experimental Psychology: General“ (JOEPG) veröffentlichte Studie des Kieler Instituts für Weltwissenschaft (IfW) vermutet, dass sich moderne Maßnahmen zur Online-Spielsuchtprävention eher gegenteilig auf Problemspieler auswirken könnten. Indessen hat die Weltgesundheitsorganisation WHO Online-Spielsucht offiziell als Suchterkrankung anerkannt.
Unter dem Titel „It’s all about gains: Risk preferences in problem gambling“ – z. dt. „Es geht nur um Gewinne: Risikopräferenzen beim problematischen Glücksspiel“ – wurde die empirische Untersuchung durch eine Kooperation zwischen dem IfW, dem psychologischen Institut der Universität Kiel sowie dem California Institute of Technology umgesetzt und im namhaften Fachblatt JOEPG der American Psychological Association (APA) veröffentlich.
Im Fokus der Studie standen hierbei insgesamt 74 Probanden – bestehend aus 25 Problemspielern, 23 Gelegenheitsspielern und einer Kontrollgruppe aus 26 Nichtspielern – die in Bezug auf ihre Gewinn- und Verlustwahrnehmung beim Glücksspiel analysiert wurden.
Die Teilnehmer des Experiments mussten sich wiederholt zwischen einer sicheren Auszahlung und dem Spielen einer Gewinnlotterie entscheiden, wobei sich die pathologischen Spieler im Allgemeinen mehrheitlich für die Risikovariante entschieden. Andererseits konnten jedoch keine besonderen Unterschiede bezüglich der Angst vor Verlusten festgestellt werden, diesbezüglich mussten sich die Probanden zwischen einem sicheren Verlust und einer Verlustlotterie entscheiden. Insgesamt wurden die Teilnehmer jeweils mit 29 Entscheidungssituationen konfrontiert.
Das Ergebnis der Studie unterstützt die These, dass Problemspieler besonders die Gewinnwahrscheinlichkeit beim Glücksspiel grundlegend anders bewerten als Gelegenheits- und Nichtspieler. Eine nur geringe Gewinnchance wird von den sogenannten pathologischen Spielern demnach stark überschätzt.
Spielerschutzmaßnahmen unwirksam?
Das Untersuchungsergebnis legt den Verdacht nahe, dass sich die derzeitigen Maßnahmen zur Glücksspielprävention bei Spielsüchtigen eher gegenteilig auswirken könnten, als vorgesehen – solange die Betreiber nicht explizit auf die Verlustwahrscheinlichkeiten ihrer Produkte hinweisen. Patrick Ring, ein Co-Autor des IfW sagt:
„Die Ergebnisse sind besonders wichtig, wenn man die derzeitige Präsentation von Glücksspielen betrachtet, bei der meist nur auf die Gewinnwahrscheinlichkeit hingewiesen wird. Spielsüchtige reagieren darauf besonders anfällig, weil sie diese niedrige Gewinnwahrscheinlichkeit im Kopf höher wahrnehmen.“
Als Beispiel zieht der Forsche hierzu die größte deutsche Lotterie 6 aus 49 heran, bei der stets nur die Gewinnwahrscheinlichkeit von 1:140 Millionen für einen Jackpot von meist mehreren Millionen Euro angegeben wird – aber bei wieviel Euro Einsatz, sprich Verlust? Ulrich Schmidt, ebenfalls IfW-Co-Autor, ergänzt:
„Wenn die Spielveranstalter ihrer Verantwortung nachkommen wollen, Glücksspielsucht vorzubeugen, dann müssen sie darüber nachdenken, nicht nur anzugeben, wie groß die Wahrscheinlichkeit auf den Hauptgewinn ist, sondern insbesondere wie häufig Spielerinnen und Spieler leer ausgehen.“
WHO erklärt Online-Spielsucht zur Krankheit
Abseits aller Versuchslabore hat die in Genf sitzende Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization) den exzessiven Konsum von Online-Games – egal ob Casino-Slot oder Videospiel – offiziell als Suchterkrankung anerkannt: „Gaming Disorder“ (z. dt. „Online-Spielsucht“) lautet demzufolge der aktuellste Eintrag im WHO-Katalog der Krankheiten (ICD-11), gleich hinter „Glücksspielsucht“.
Der neue Katalog wurde heute (18.06.) veröffentlicht. Er wird von Ärzten zu Diagnosezwecken und von Krankenkassen als Grundlage für Kostenübernahmen genutzt. Diesbezüglich sieht die WHO unter ICD-11 drei Hauptkriterien zur Klassifizierung der Erkrankung vor: Erstens, die Dauer und Häufigkeit des Spielens. Zweitens, die zunehmende Priorität des Spielens vor anderweitigen Aktivitäten. Und drittens, das Weiterspielen auch bei negativen Folgen.
Unter Wissenschaftlern gilt die WHO-Entscheidung zur Katalogisierung von Online-Spielsucht jedoch als umstritten: Freizeit-Gambler könnten hierdurch „grundlos als therapiebedürftig“ eingestuft und somit stigmatisiert werden, heißt es. In einem offenen Brief warnt unter anderem der an der Universität Oxford lehrende Psychologe Andy Przybylski vor einem „Missbrauch solcher Diagnosen“. Hiernach sollten exzessiv spielende Patienten viel eher hinsichtlich der zugrundeliegenden Erkrankungen, zum Beispiel Depressionen oder Angststörungen, behandelt werden.
Dahingegen sieht der Züricher Psychotherapeut Franz Eidenbenz in der Einstufung einen längst überfälligen und daher notwendigen Schritt, der vor allem „im Sinne der Abhängigen und Angehörigen“ erfolgen müsse. Schon vor knapp 20 Jahren habe er nach eigenen Aussagen bereits süchtige Online-Spieler beraten – Online-Spielsucht sei kein neues Phänomen, betont der Fachpsychologie und ergänzt:
„Es kann negative Folgen für die Gesundheit haben, eine Störung des Schlafverhaltens und auch der körperliche Aktivität – normalerweise ist das Spielverhalten mit einem sehr geringen Maß an körperlicher Aktivität verbunden – und auch in Bezug auf die Ernährung.“
Spielsucht weitverbreitet
Glücksspielsucht gilt auch in Deutschland als problematisches, weitverbreitetes soziales Phänomen. Nach aktuellen Studien der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) sollen allein in Deutschland mehr als 240.000 pathologische Spieler regelmäßig vor dem Bildschirm sitzen.
2016 gaben zudem über 450.00 Personen an, von Problemen im Kontext Glücksspiel betroffen gewesen zu sein. Die Dunkelziffer soll weitaus höher liegen. Weltweit lässt sich die Anzahl an Spielsüchtigen kaum abschätzen. Ein wesentlicher und nur schwer zu kontrollierender Faktor bildet an dieser Stelle der boomende Online-Sektor.